Taxi-Krieg in Südafrika - 11 Menschen erschossenUlf Iskender Kaschl Roadmovie Kapstadt
Am Samstagabend fuhren 17 Taxifahrer in einem Minibus von der Beerdigung eines Kollegen nach Hause. Unterwegs wurden sie überfallen: 11 von ihnen wurden erschossen, 4 weitere z. T. schwer verletzt. Die Mordopfer gehörten einer Taxifahrer-Vereinigung an. In Südafrika sind Taxi-Wars, Taxi-Kriege, noch immer weit verbreitet, vor allem in den Townships. Oft sind die Taxis und Minibusse im Besitz von Gangs, die bestimmte Routen kontrollieren und auch mit Gewalt versuchen, die Konkurrenz aus dem Geschäft zu drängen.
Im Folgenden eine Passage aus dem Episodenroman Roadmovie Kapstadt, in der der Protagonist mitten in einen solchen Taxi-Krieg gerät:
Das Taxi war nur halb voll, obwohl der Shouter sein Möglichstes gab, Passagiere für eine Fuhre ins Zentrum zu finden.
 In Woodstock, einem Vorort am Fuße des Tafelberges, hatten seine Bemühungen Erfolg. Der zusteigende Passagier war der Alte mit dem fehlenden Fingerglied.
 »Oh, goie naan, my baasie«, lächelte er überrascht, als er Alex erkannte, und sich auf der Bank hinter dem Fahrer niederließ.

»Ist eine kleine Welt, nicht?«, lächelte Alexander zurück. Er bot dem Alten eine Zigarette aus dem Päckchen an, das er sich gestern auf dem Campus gekauft hatte.
»Oh ja, das stimmt, gerade hier in die Kaap ... Ouh, aber Baasie, was ist denn das? Ich dachte, du rauchst nicht mehr?«»Naja, ich habe gestern wieder angefangen. Die Dinger sind hier so billig, dass es schwierig ist, mit dem Aufhören nicht aufzuhören«, sagte Alex etwas verlegen.
 Der Alte lachte.
 »Das ist schlecht. Also, dann nehm’ ich gleich zwei, und du rauchst weniger, okay?«, grinste er und nahm zwei Zigaretten aus dem Päckchen.
 »Du bist kein Amerikaner, oder?«
 »Nein, nein. Ich komme aus Deutschland.«
 »Ouh ... Deutsch? ... Frankfurt!? Hamburg!? Bayern München! Welkom! Welkom in Suid-Afrika!«

Als sie die Endstation der Minibusse auf dem Dach der Central Cape Town Train Station erreichten, hatte Alexander das Gefühl, in einer völlig anderen Welt angekommen zu sein. Hier war auf einmal Afrika, wie er es sich vorgestellt hatte. Das Terminal unter freiem Himmel war mit Passagieren und Händlern aller Farbschattierungen überfüllt. In kleinen Lädchen wurde ein Mix aus Süßigkeiten, Früchten, Badelatschen und billigen Sonnenbrillen verkauft. Unter lautem Geschrei und Gehupe hielt der Minibus mitten in einem Gewusel rufender, lachender, feilschender, singender Menschen. Der Shouter öffnete die Tür und schickte sich an, den Passagieren aus dem Bus zu helfen. Alexander lächelte dem Alten zum Abschied zu und wollte gerade zum Sprung aus dem Bus ansetzen, als plötzlich ein Raunen durch die Menge ging, und die Menschen sich schubsten und duckten und rannten und eine Hand ihn an der Schulter packte und zu Boden riss, eine andere zerrte ihn wieder hoch und drückte ihn nach vorne, so dass er stolperte und sich die Lippe an einem Ellbogen blutig stieß. Ein Junge zog grob an seinem Arm und die heisere Stimme des Alten nah an seinem Ohr rief »Loop! Loop!«, und bevor er überhaupt dazu kam, einen klaren Gedanken fassen zu können, lief er mit alten Frauen und Kindern und Straßenhändlern und Teenagern, rannte weg von dem Taxi, rannte weg vor dem heiseren Geknatter einer Maschinenpistole. Er hörte splitterndes Glas und kreischendes Metall und er lief, wie er noch nie zuvor gelaufen war – er spürte nicht mehr, dass seine Füße den Boden berührten, er spürte nicht, wie er seine Sandalen verlor, und er spürte auch nicht, wie ihm die Sonnenbrille aus dem Haar rutschte und zu Boden fiel.

Die nächste halbe Stunde kam er sich vor wie in einem unscharfen Stummfilm. Hinter einem Obststand versteckt, beobachtete er, wie der Tumult sich langsam legte, wie der erste Minibus wieder losfuhr und andere folgten, wie die Leute herumstanden und diskutierten und gestikulierten, wie die Szene, deren Zeuge er gerade geworden war, den Neuankömmlingen wieder und wieder erzählt wurde. Er wartete ­ver­geblich darauf, dass die Polizei sich zeigen würde, oder dass ihm jemand erklärte, was genau da eben passiert war – dass vielleicht lautstark Entwarnung gegeben würde, dass jetzt alles wieder okay sei. Dass es sich nur um ein Spiel, vielleicht um einen Filmdreh, gehandelt hatte.

Später stolperte er die Treppenstufen des Bahnhofs hinab, lief durch ein modernes gläsernes Einkaufszentrum. Eis und Popcorn verschlingende Menschen warteten geduldig vor einem Kino auf Einlass. In den Schaukästen priesen bunte Poster die neueste Hollywoodromanze an. Er lief durch die glitzernde Drehtür, wandte sich in Richtung Stadtmitte, ging vorbei an Geschäftsleuten mit klingelnden Mobiltelefonen, an Bettlern und an Straßenverkäufern, sah, wie sie taten, was Geschäftsleute, Bettler und Straßenverkäufer eben so tun, und sah sie doch nicht.
Am Ende fand er sich in einem Café am Greenmarket Square im Zentrum Kapstadts wieder – mit dem deutlichen Gefühl, das bunte Treiben um ihn herum geschehe wie auf einer großen Bühne: Das Gezeter des Händlers, der die großen, schrecklich kitschigen hölzernen Masken an dicke Touristen verkaufte, die zwei Typen mit Gitarre, die für ein paar Rand alles gaben und mit den flanierenden Mädchen flirteten, der Ober, der im Schatten nahe des Eingangs stand, und sich bemühte, blasiert in die Luft zu starren. Mit zitternden Händen rührte Alex in seinem Kaffee und versuchte, den Ablauf der Ereignisse zu rekonstruieren, versuchte zu verstehen, was er gesehen hatte, und kam zu keinem Ende. Bilder sch
wirrten durch seinen Kopf: Der Shouter, wie er sich mit den Händen den blutenden Kopf hielt; der Fahrer, wie er kopfschüttelnd und unverletzt aus seinem zersiebten Taxi stieg; der alte Mann mit den gelben Zähnen, wie er in einer scharlachroten Lache lag. Er selbst rennend, rennend.
...
Als er mit seiner Geschichte am Ende war und er sich ein wenig beruhigt hatte, klopfte ihm David ermutigend auf den Rücken.
 »Es tut mir leid, dass das dein erster Eindruck von den Black Cabs war«, sagte er. »Eigentlich sind sie wirklich in Ordnung.«
 Er fand ein Taschentuch in seinen Hosentaschen und reichte es Alex, der sich kräftig schnäuzte.
 »Ich benutze sie jetzt seit zwei Jahren, jeden Tag, und glaub mir, es ist sogar ziemlich witzig. Die endlosen Diskussionen zwischen Shouter und Fahrer – das ist schon so was wie Folklore. Das musst du mal erleben, die Main Road in einem vollbesetzten Taxi runterzurasen, mit der Musik auf voller Lautstärke und offenen Türen, und das ganze Taxi hält sich vor Lachen über die Geschichten und Späße der beiden den Bauch. Aber das, was du erlebt hast! Nun, das ist auch eine Realität, die traurige Seite. Die Zeitungen nennen es ›Taxi Wars‹, und normalerweise passiert es auch nur draußen in den Townships, nicht in der Innenstadt.«
 Alexander spürte, wie sein Brustkorb beim Einatmen zitterte, und zog die Schultern hoch, um seine Stimme möglichst ruhig zu halten.
 »Taxi Wars?«, fragte er.
 »Die Townships sind zu weiten Teilen für die Polizei unkontrollierbar. Es gibt aber genau abgesteckte Bereiche, Territorien, und die werden von Gangs beherrscht, die als Bürgermeister, Polizei, moralische Instanz fungieren und das Leben organisieren. Sie kontrollieren natürlich auch den Finanzsektor, das heißt im Klartext Drogenhandel und Prostitution. Und eben auch den öffentlichen Nahverkehr.«
 Davids Stimme war jetzt sehr ernst, mit einer leicht zögerlichen Note, als wäre er ein Arzt und spräche mit einem Angehörigen über die unheilbare, schreckliche Krankheit eines Patienten.
 »Das bedeutet, alle Minibusse sind im Besitz von Gangs und werden an Subunternehmer weitervermietet. Jede Gang kontrolliert eine bestimmte Anzahl an festen Routen, vor allem diejenigen, die die ­Town­ships mit der Innenstadt verbinden. Aber natürlich gibt es ständige Versuche, den Konkurrenten eins auszuwischen und Routen zu übernehmen, manchmal mit Geld oder Politik, manchmal mit Gewalt. Was du erlebt hast, war eine Warnung von einem Unternehmer an den anderen. Die Ankündigung einer feindlichen Übernahme, sozusagen.«
 David musste über seine eigene Wortwahl lachen. »DAS ist der echte Raubtierkapitalismus.«
 Alexander fühlte Ärger in sich hochsteigen. Wie konnte David nur so kalt, so gefühllos sein? Über die Gewalt, ja sogar den Tod noch lachen? Er selbst hätte bei dieser Geschichte draufgehen können ..."
entnommen dem Buch Roadmovie Kapstadt von Ulf Iskender KaschlUlf Iskender Kaschl 1

 

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